Zur Abgrenzung mittlerer von grober Fahrlässigkeit bei der Arbeitnehmerhaftung für Verkehrsunfallschäden

LAG Köln, Urteil vom 5. April 2012 – 7 Sa 1334/11

Zur Abgrenzung mittlerer von grober Fahrlässigkeit bei der Arbeitnehmerhaftung für Verkehrsunfallschäden.

Bei der Bestimmung des dem Arbeitnehmer aufzuerlegenden Schadensanteils sind die Versicherbarkeit des Schadens und die Höhe des Verdienstes angemessen zu berücksichtigen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 21.09.2011 in Sachen 2 Ca 1403/11 EU wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Schadensersatzanspruch der klagenden Arbeitgeberin aus dem Gesichtspunkt der Arbeitnehmerhaftung.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, der Zahlungsklage nur in Höhe des – vom Beklagten auch anerkannten – Betrages von 500,00 € nebst Zinsen stattzugeben, sie im Übrigen aber abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 21.09.2011 in Sachen 2 Ca 1403/11 EU Bezug genommen.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde der Klägerin zunächst mit fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung am 27.10.2011 zugestellt, mit korrigierter Rechtsmittelbelehrung sodann nochmals am 14.12.2011. Die Klägerin hat am Montag, dem 28.11.2011, Berufung eingelegt und diese am 27.12.2011 begründet.

Die Klägerin beanstandet, dass das arbeitsgerichtliche Urteil nicht erkennen lasse, von welchem Verschuldensgrad des Beklagten bei der Verursachung des Unfalls vom 16.07./17.07.2010 es ausgegangen sei. Richtigerweise müsse nicht nur von grober/gröbster Fahrlässigkeit, sondern sogar von Vorsatz ausgegangen werden, habe der Beklagte doch gezielt Absperrungen und eine Fräskante überfahren, habe beim Überfahren des Kanaldeckels den Unterboden des Fahrzeugs aufgerissen und anschließend die Fahrt trotz des eintretenden Ölverlustes fortgesetzt. Der Beklagte sei daher grundsätzlich zu einer hundertprozentigen Schadensersatzleistung verpflichtet.

Es könne ihr, der Klägerin, auch nicht angerechnet werden, dass sie das fragliche Fahrzeug nicht mit einer Vollkaskoversicherung versichert habe. Dies geschehe bei ihr unstreitig nur für Fahrzeuge bis zu einem Alter von maximal vier Jahren. Bei Überschreiten dieses Fahrzeugalters stehe die Zahlung von Versicherungsprämien in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Sie, die Klägerin, begegne der ihr möglicherweise obliegenden Fürsorgepflicht gegenüber ihren Arbeitnehmern in der Weise, dass sie sich nur auf die notwendig mit der Reparatur verbundenen Positionen wie Ersatzteile und Arbeitslohn beschränke und vorliegend nicht einmal den vollen Reparaturschaden zur Abrechnung stelle, sondern nur den dem Beklagten günstigeren Wiederbeschaffungswert.

Schließlich könne auch nicht zugunsten des Beklagten ins Feld geführt werden, dass dieser als sogenannter Geringverdiener für lediglich 400,00 € monatlich beschäftigt gewesen sei. Sonst würde ein Arbeitnehmer mit fünf entsprechenden Mini-Jobs à 400,00 € sich hinsichtlich einer „Deckelung von Schadensersatzzahlungen“ besser stehen, als ein Taxi-Fahrer im Vollzeitjob, der 2.000,00 € monatlich verdiene.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn, 2 Ca 1403/11 EU, zugestellt am 27.10.2011, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin über den bereits anerkannten Teilbetrag in Höhe von 500,00 € hinaus weitere 2.832,66 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 15.03.2011 zu zahlen.

Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Er vertritt die Auffassung, dass ihn an dem Unfall keine Schuld treffe. Schon gar nicht liege ein Fall grober oder gröbster Fahrlässigkeit vor. Zutreffend habe das Arbeitsgericht auch auf die Versicherbarkeit des Schadens und seinen, des Beklagten, geringen Monatsverdienstes abgestellt.

Auf die weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung und der Berufungserwiderung wird der Vollständigkeit halber Bezug genommen.

Gründe

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 21.09.2011 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe b) ArbGG statthaft und wurde nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG formal ordnungsgemäß und fristgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Klägerin konnte jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Bonn hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden und seine Entscheidung tragfähig begründet. Es hat seiner Entscheidung in korrekter Weise die im Laufe der Jahre entwickelten Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Arbeitnehmerhaftung zugrundegelegt und diese sachgerecht auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalls angewandt. Aus der Sicht der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bleibt zusammenfassend und ergänzend das Folgende auszuführen:

1.a. Die Einlassung der Klägerin, dass das Arbeitsgericht sich nicht festgelegt habe, mit welchem Grad von Verschulden der Beklagte den Unfall vom 16.07./17.07.2010 verursacht habe, ist nur teilweise richtig. Das Arbeitsgericht hat nämlich ausgeführt, dass zumindest ein Fall gröbster Fahrlässigkeit, bei welchem Gesichtspunkte einer Haftungserleichterung für den Arbeitnehmer aufgrund eines innerbetrieblichen Schadensausgleichs keine Rolle mehr spielen können, nicht vorliegt.

b. Nach Einschätzung des Berufungsgerichts kann auch ein Fall grober Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden.

aa. Für die objektiven Umstände, aus denen sich der Rückschluss auf ein mindestens grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten ergeben soll, ist die Klägerin als Anspruchstellerin darlegungs- und beweispflichtig (BAG vom 13.3.1968, AP Nr.42 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; LAG Hamm vom 13.5.1991, LAGE Nr.16 zu § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung; ErfKomm/Preis, 12. Aufl., § 619 a BGB Rdnr. 21).

bb. Der Unfall ereignete sich unstreitig zur Nachtzeit, also im Dunkeln. Aufgrund des Beklagtenvortrags ist auch davon auszugehen, dass es zur Unfallzeit stark regnete. Da die Wetterverhältnisse zum Unfallzeitpunkt für die Beurteilung des Verschuldensgrades des Beklagten eine nicht unwichtige Rolle spielen, konnte sich die Klägerin hier nicht darauf zurückziehen, den Vortrag des Beklagten mit Nichtwissen zu bestreiten.

cc. Des Weiteren kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass aus Sicht der Fahrtrichtung des Beklagten die zum Rechtsabbiegen geeignete Einmündung in den Straßenbaustellenbereich in der Weise abgesperrt war, wie dies auf dem von der Klägerin zur Gerichtsakte gereichten Foto (in Hülle Bl.68) zu sehen ist. Die Klägerin räumt selbst ein, dass das Foto erst am Folgetag aufgenommen wurde, als die Straßenbauarbeiten wieder im vollen Gange waren, wie insbesondere an der frisch aufgeschütteten, offenbar noch feuchten Teerdecke zu erkennen ist. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die auf dem Foto im Hintergrund erkennbare, die Einmündung aus Fahrtrichtung des Beklagten absperrende rotweiß gestreifte Warnbaake sich auch in der Nacht an derselben Stelle befunden hat. Dann wäre nämlich nicht erklärbar, wie der Beklagte aus seiner Fahrtrichtung überhaupt in den Straßenbaustellenbereich hätte einfahren können, ohne vor der Baake anzuhalten, auszusteigen, diese – im Regen – auf Seite zu räumen, in die Baustelle hineinzufahren, wiederum anzuhalten und die Baake an ihre frühere Stelle zu stellen. Anhaltspunkte für einen derart ungewöhnlichen Geschehensablauf sind nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt worden. Überdies hat die Klägerin auch den Umstand, dass der Beklagte hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren sein will, welches ebenfalls den Baustellenbereich auf der abgesenkten Fahrbahndecke durchfahren habe, nicht widerlegen können.

dd. Andererseits kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass die Straßenbaustelle durch ein Gefahrenhinweisschild und ggf. durch Blinklichter angekündigt war und es einem geübten Autofahrer ohnehin schon aufgrund der geänderten Fahrbedingungen nicht verborgen bleiben kann, wenn er sich auf einer solchen abgefrästen, abgesenkten und in Reparatur befindlichen Fahrbahndecke befindet. Die besondere Aufmerksamkeit, die eine solche Verkehrssituation erfordert, hat der Beklagte – auch dies kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden – offenbar nicht in ausreichendem Maße aufgebracht. Dabei war er allerdings durch Dunkelheit und Regen in seiner Sicht behindert, wie ihm nicht zu widerlegen ist.

ee. Alles in allem kann nach Lage der Dinge der Entscheidung somit nicht zugrundegelegt werden, dass die von dem Beklagten gezeigte Unachtsamkeit bereits über das Maß einer mittleren Fahrlässigkeit hinausgegangen ist.

ff. Etwas anderes kann auch nicht aus dem Umstand gefolgert werden, dass der Beklagte, nachdem er mit dem Fahrzeug auf dem Kanaldeckel aufgesetzt war, seine Fahrt noch bis zum Betriebshof der Klägerin fortgesetzt hat. Dass sich aufgrund dieses Umstandes der an dem Fahrzeug entstandene Schaden verschlimmert hat und dies von dem Beklagten hätte vorausgesehen werden müssen, ist nicht erkennbar.

2. Das Arbeitsgericht hat somit richtig erkannt, dass der vom Beklagten bei der Verursachung des Unfalls an den Tag gelegte Grad des Verschuldens eine Anwendung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nicht ausschließt.

a. Das Arbeitsgericht hat sodann auch bei der Bestimmung des Umfangs des dem Beklagten aufzuerlegenden Schadensanteils sachgerecht die Versicherbarkeit des Schadens berücksichtigt.

aa. Die Klägerin hat nach eigenem Bekunden für die jüngeren, bis zu vier Jahre alten Fahrzeuge ihres ca. 30 Taxis umfassenden Fuhrparks eine Vollkaskoversicherung mit 500,00 € Selbstbeteiligung abgeschlossen. Für die älteren Fahrzeuge hat sie aus wirtschaftlichen Erwägungen davon abgesehen.

bb. Für die Klägerin als Fahrzeughalterin mag die Überlegung, die Versicherungskosten einzusparen und dafür das Risiko einzugehen, im Falle eines Unfalls die Reparaturkosten am eigenen Fahrzeug selbst tragen zu müssen, unter wirtschaftlichen Aspekten sinnvoll sein. Die Klägerin verlagert jedoch das Risiko, das aus der Teilnahme als Autofahrer am Straßenverkehr entsteht, auf die von ihr eingesetzten Arbeitnehmer. Aus dem Rechtsverhältnis der Klägerin zu ihren Arbeitnehmern heraus gibt es keinen einleuchtenden Grund dafür, hinsichtlich des vom Arbeitnehmer zu tragenden Unfallrisikos danach zu differenzieren, ob er mit einem neueren oder einem älteren Fahrzeug unterwegs ist. Die Folgen der Überlegung, bei älteren Fahrzeugen ein ohne weiteres ebenfalls versicherbares Unfallrisiko aus wirtschaftlichen Erwägungen in Kauf zu nehmen, kann daher nicht auf die entsprechenden Arbeitnehmer abgewälzt werden. Verwirklicht sich in einem solchen Fall ein Unfallrisiko, kann die Klägerin nicht bessergestellt werden, als wenn sie dem Arbeitnehmer ein – mit angemessener Selbstbeteiligung – vollkaskoversichertes Fahrzeug zur Verfügung gestellt hätte (vgl. BAG NZA 1988, 584; ErfKomm/Preis, 12.Aufl., § 619 a BGB Rdnr. 16).

b. Es ist ebenso wenig zu beanstanden, wenn das Arbeitsgericht ferner den von ihm festgelegten Haftungsanteil des Beklagten in Relation zu seinem Einkommen bei der Klägerin gesetzt hat.

aa. Vorliegend beträgt dieser vom Arbeitsgericht festgesetzte Haftungsanteil immerhin 125 % eines Monatseinkommens des Beklagten.

bb. Demgegenüber geht das Argument der Klägerin fehl, wonach sich bei einer solchen Betrachtungsweise ein Mitarbeiter, der fünf verschiedene Mini-Jobs hat, besser stehe, als ein Mitarbeiter, der bei einem einzigen Vollzeitjob dieselbe Gesamtsumme verdiene. Die Rechtfertigung für die Betrachtungsweise des Arbeitsgerichts liegt darin, dass die vom Arbeitnehmer zu tragende Höhe des finanziellen Risikos aus einem Verkehrsunfallschaden nicht unabhängig davon beurteilt werden kann, wie intensiv die Partner des der Risikoverlagerung zugrundeliegenden Arbeitsverhältnisses miteinander verbunden sind und in welchem Verhältnis der Verdienst des Arbeitnehmers zu dem Schadensrisiko steht, dem er durch die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten ausgesetzt ist (vgl. BAG NZA 1990, 97; BAG NZA 1999, 263).

c. Bei alledem ist ferner auch in Rechnung zu stellen, dass die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers im Taxigewerbe in besonderem Maße als gefahrgeneigte Tätigkeit anzusehen ist, eine Risikoverwirklichung somit mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist als bei anderen Arten von Tätigkeiten (zu diesem Aspekt vgl. BAG NZA 1995, 565).

d. Insgesamt erscheint somit auch dem Berufungsgericht in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Einzelfalls eine weitergehende Verlagerung des Unfallschadens auf den Beklagten, als dies der Klägerin vom Arbeitsgericht zugebilligt wurde, nicht angebracht.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die vorliegende Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls. Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

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